Der Südandenhirsch (Hippocamelus bisulcus), auch Chilenischer Huemul genannt, ist ein ikonisches und gleichzeitig weitgehend unbekanntes Huftier, das ausschliesslich in den patagonischen Anden lebt.
Unser Enrique Couve, Mitgründer von Far South Expeditions, war kürzlich mit Gästen im riesigen Nationalpark Bernardo O’Higgins im Süden Chiles unterwegs. Dort konnte er eine Gruppe von Südandenhirschen beobachten.
Südandenhirsch Chilenischer Huemul Patagonien
Mittelgrosser Hirsch
Mit rund 70 kg Körpergewicht und einer Schulterhöhe von ca. 90 cm gehört der Chilenische Huemul zu den mittelgrossen Hirschen. Er lebt vorwiegend in den dichten, unberührten Gebirgswäldern Südchiles und -argentiniens. Je nach Standort ernährt er sich von unterschiedlichen Pflanzen. Meist dominieren aber ein paar wenige Arten seinen Speiseplan. Im Bernardo O’Higgins Nationalpark z.B. fressen die Huemuls praktisch ausschliesslich Scharlach-Fuchsien (Fuchsia magellanica; ca. 71 %) und die bodennah wachsenden Gunnera magellanica (ca. 25 %) (Wilson & Mittermeier, 2011). Huemuls sind zudem hervorragende Schwimmer.
Endemische Art in Gefahr
Der Chilenische Huemul ist der am südlichsten lebende Hirsch weltweit und endemisch in Chile und Argentinien. Auch wenn er raue, abgelegene Gebiete bewohnt, die von Menschen kaum besiedelt sind, sieht er sich mit diversen Gefahren konfrontiert. Die eminenteste ist der Verlust und die Zerstückelung des Lebensraums. Aber auch freilaufende Hunde, Jagd und sonstige Störungen durch den Menschen stellen eine ernst zu nehmende Gefahr für sie dar. Des Weiteren sorgen eingeführte Arten wie der Rothirsch für eine intensivere Konkurrenz um die beste Nahrung. Dabei werden die Südandenhirsche immer häufiger in zweitrangige Lebensräume verdrängt.
Die Zahl der Südandenhirsche ist mittlerweile soweit zurückgegangen, dass die Art gemäss der Weltnaturschutzorganisation IUCN als Stark Gefährdet gilt. Je nach Quelle gibt es, in Chile und Argentinien zusammen, noch zwischen ca. 1500 und 2500 Individuen (Conaf, 2023; Rewilding Chile, 2023) Südandenhirsch Chilenischer Huemul Patagonien
Das Szenario ist also relativ düster. Das Gute daran ist aber, dass die vorhandenen Sub-Populationen quasi durch ihren unzugänglichen Lebensraum geschützt werden.
Dass Enrique und seine Gäste eine ganze Gruppe Chilenischer Huemuls beobachten konnten, ist in Anbetracht der kleinen Bestandeszahlen und des häufig schwierig zugänglichen Habitats absolut grossartig.
Südandenhirsch in der Region Magallanes
In Chile lebt der Huemul zwischen der Seenregion und der Magellanstrasse. In Ausnahmefällen kommt er sogar bis ca. 34° südlicher Breite vor. Auf der Brunswick-Halbinsel ganz im Süden seines Verbreitungsgebiets gab es zwei bekannte Huemul-Populationen. Die eine im Mündungsgebiet des Río Batchelor, die andere im Naturschutzgebiet Laguna Parrillar.
Dass ich hier in der Vergangenheitsform schreibe, hat durchaus seinen Grund. Und zwar einen äusserst erfreulichen. Im Sommer 2023 wurde nämlich im Waldreservat Magallanes, nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt Punta Arenas, zum ersten Mal überhaupt seit der Parkgründung vor 91 Jahren ein Südandenhirsch gesichtet und eindeutig als solcher identifiziert. Bleibt die Frage, ob es sich um eine separate Population handelt oder ob es ein Individuum aus einer der beiden bestehenden Gemeinschaften ist. Südandenhirsch Chilenischer Huemul Patagonien
Schutz und Erhaltung des Lebensraums
So oder so ist dieser Fund aber sensationell und von grosser Bedeutung. Wichtig ist nun, die Korridore zwischen den verschiedenen Gebieten zu erhalten und die menschlichen Einwirkungen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. So könnten sich auch die Gene der Tiere durchmischen, was sich wiederum positiv auf ihre Widerstandsfähigkeit auswirkt.
In der Region Magallanes gibt es nebst den genannten Populationen auch bestätigte Vorkommen von Südandenhirschen in den Nationalparks Torres del Paine und Kawéskar.
Nationaler Huemul-Korridor
Aysén ist diejenige Chilenische Region, die weite Teile Nordpatagoniens umfasst. Sie verfüg über eine bemerkenswerte Anzahl an Schutzgebieten. Sechs Nationalparks liegen wie Perlen an einer Kette aneinandergereiht. Zudem gibt es rund ein Dutzend Naturschutzgebiete und -denkmäler. Das heisst also, dass es viel potenziellen Lebensraum für den Südandenhirsch gibt. Es ist aber von extremer Bedeutung, diese Gegenden auch untereinander zu verbinden. Dies ermöglicht es den Tieren, sich freier und in grösseren Flächen zu bewegen.
Die Stiftung Rewilding Chile hat verschiedene Projekte lanciert, um die Huemule, deren Bedürfnisse, Verhalten, Gefahren etc. zu studieren und besser zu verstehen. Das übergeordnete Ziel ist es, einen Nationalen Huemul-Korridor zu erstellen und zu unterhalten. Damit soll ein zusammenhängender Lebensraum geschaffen werden, der die einzelnen Sub-Populationen miteinander verbindet.
Wilson, D.E. & Mittermeier, R.A. eds. (2011). Handbook of the Mammals of the World. Vol 2. Hoofed Mammals. Lynx Edicions, Barcelona.
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