Da ist einem Naturliebhaber wortwörtlich ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Der Lago Deseado (“Erwünschter See”) im rauen Süden der Grossen Insel Feuerland hat kristallklares Wasser, ist umgeben von dichten Scheinbuchenwäldern und schroffen Bergen. An seinem Südufer befindet sich die äusserst gastfreundliche Lodge Deseado. In der Tat ist jenes Stück Erde eine Perle, die es unbedingt zu erkunden und geniessen gilt.
Alleine schon die Anreise zum Lago Deseado dürfte für viele Besucher ein spezielles Erlebnis sein. Ab Punta Arenas gilt es erst einmal die Magellanstrasse zu überqueren. Dies geschieht entweder mit der Fähre direkt nach Porvenir oder etwas weiter nördlich bei der Primera Angostura (“Erste Meerenge”). Danach geht es während rund 4 Autostunden mehrheitlich über Kiesstrassen durch die endlos scheinende Steppe. Doch auch hier ist für Abwechslung gesorgt. Guanakos (Lama guanicoe) sind reich an der Zahl. Ab und zu kommt man an einer Schafherde vorbei, welche gut und gerne mehrere Tausend Tiere umfasst. Wer mag, legt in der Bahía Inútil («Unnütze Bucht») einen Zwischenhalt ein und stattet den Königspinguinen einen Besuch ab. Im südlichen Teil jenes geologischen Beckens, in welchem die Bahía Inútil liegt, liessen die eiszeitlichen Gletscher eine eindrückliche Ansammlung von erratischen Blöcken zurück.
Ab Pampa Guanaco ändert sich die Landschaft markant. Dieser Weiler liegt fast an der Grenze des Parks Karukinka, der den unberührten Südwesten der Insel Feuerland schützen soll. Die letzte Autostunde ab Pampa Guanaco bis zum Lago Deseado führt uns durch dichte Wälder, vorbei an Flüssen, Seen und Bergen. Lago Deseado Feuerland Natur
Lago Deseado
So präsentiert sich dann auch die Umgebung der Lodge Deseado. Die Holzkonstruktionen dieser gemütlichen, gastfreundlichen Unterkunft liegen eingebettet in weitestgehend intakte Natur. Der Lago Deseado ist ein langgezogener See, der ziemlich genau West-Ost ausgerichtet ist. Die ausgeprägte U-Form dieses Tales lässt unschwer erkennen, dass diese Gegend während langer Zeit von Gletschern bedeckt und von deren Erosion modelliert worden war. Der Lago Deseado weist eine Länge von rund 10 km auf und wird vom Río de la Turba entwässert. Dessen Entstehungsgebiet befindet sich dabei bereits auf argentinischem Staatsgebiet. Nach gut 80 km mündet er in den Río Grande und letzten Endes in den Atlantik.
Spannend ist nun, dass es in der gleichen Geländevertiefung und nur wenige Kilometer westlich des Lago Deseado mit dem Lago Despreciado einen weiteren See hat. Die Entfernung der beiden Seen ist minimal. Diese Zone beherbergt aber ein wichtiges geographisches Element, nämlich eine Wasserscheide. Somit wird der Lago Despreciado via den Seno Almirantazgo in die Magellanstrasse und demzufolge in den Pazifik entwässert.
Der Lago Deseado befindet sich inmitten in einen unberührten, dichten Scheinbuchenwald, der für diese Gegend Patagoniens sehr typisch ist. Es dominiert die Lenga (Nothofagus pumilio), wobei auch Coigues (Nothofagus dombeyi) und Antarktische Scheinbuchen (Nothofagus antarctica) anzutreffen sind. Lago Deseado Feuerland Natur
Andrés, der junge und aufgestellte Geschäftsführer der Lodge, nimmt uns mit auf einen Ausflug mit dem Festrumpfschlauchboot. Er erklärt uns Allerlei zur lokalen Flora und Fauna, Geographie und auch zur Geschichte. Bis vor rund 100 Jahren war die Gegend des Lago Deseado wichtiger Lebensraum der Selkn’am. Es stimmt mich beeindruckt und nachdenklich zugleich, wenn ich mir vorstelle, wie hier in den Geburtsjahren meiner Grosseltern noch Urvölker ihrer traditionellen Lebensweise nachgegangen sind.
Im Grenzgebiet Chile/Argentinien, ganz am östlichen Ende des Sees, gehen wir an Land und machen einen wunderschönen Spaziergang. Jetzt im Herbst hat es eine Vielzahl an Pilzen, die aus dem Boden spriessen. Auch frönen wir dem Genuss von strauchfrischen Calafate-Beeren (Berberis microphylla). Wir sehen und hören verschiedene Vögel wie bspw. Weissbauch-Olivtyrann (Elaenia chilensis), Chilehabicht (Accipiter chilensis), Humboldtscharbe (Phalacrocorax brasilianus) und Rotbrustfischer (Megaceryle torquata). Plötzlich treten wir aus dem Wald aus und vor uns eröffnet sich eine imposante Moorlandschaft. Sie ist der Jahreszeit entsprechend schon rot gefärbt und bietet unzähligen Insekten und Pflanzen einen wichtigen Lebensraum. Lago Deseado Feuerland Natur
Es ist sehr aufregend zu beobachten, in welch andersartigem Habitat die Guanakos hier leben. Grundsätzlich ist diese wildlebende Art aus der Familie der Kamele im offenen Grasland heimisch. Die Tiere müssen sich dort an sehr trockene Bedingungen anpassen und auch der Wind peitscht ihnen oft unerbittlich um die Ohren. Hier hingegen, im Süden der Grossen Insel Feuerland, leben sie im Wald und/oder am Ufer von Flüssen und Seen. Die Nahrung scheint hier reichlicher vorhanden zu sein, zweifelsohne auch das lebensnotwendige Wasser. Ob das Leben dadurch aber wirklich einfacher ist? Ich wage da ein Fragezeichen zu setzen. Die Fortbewegung im Wald dürfte nämlich alles andere als angenehmer sein. Die Scheinbuchenwälder sind gezeichnet durch dichte Vegetation und auf dem Waldboden liegt sehr viel Totholz.
Wir spazieren zurück zum Schlauchboot, von wo aus wir unseren Ausflug auf dem Lago Deseado und an dessen Ufern fortführen. Wir lassen uns verzaubern vom Anblick des tiefgrünen Vegetationsteppichs, der an seiner oberen Grenze von schroffen Felsen abgelöst wird. Hoch über den Berggipfeln sehen wir drei Kondore majestätisch und ruhig ihre Kreise drehen.
Eine Angelausrüstung haben wir nicht dabei und vermissen sie auch nicht. Begnadeten Fischern ist aber bestens bekannt, dass der Lago Deseado einer der besten Seen von ganz Feuerland ist, wenn es ums Ausüben ihrer Leidenschaft geht. Lago Deseado Feuerland Natur
Ungefähr auf halber Distanz des Sees machen wir an dessen Südufer erneut einen Halt, um durch den Wald zu flanieren. Es gibt hier zwei verschiedene Arten von Erdbeeren. Die eine (Rubus geoides) ist köstlich und hat einen wunderbar fruchtig-süssen Geschmack. Aber Achtung! Ebenso verbreitet ist hier die “Frutilla del diablo” (dt.: Teufelserdbeere; Gunnera magellanica). Wie es der Name unschwer erahnen lässt, ist Letztere giftig und von deren Verzehr wird daher dringend abgeraten.
Die Natur ist hier derart abwechslungsreich und interessant, dass wir uns fast vergessen. Staunend und geniessend schlendern wir durch den Wald. Nicht einmal das immer lauter werdende Geräusch von plätscherndem Wasser nehmen wir richtig war. Auf einmal stehen wir vor einem tosenden Wasserfall. Wie eindrücklich! Lago Deseado Feuerland Natur
Nach einer köstlichen Pilzcremesuppe und anschliessender kurzen Siesta in der Lodge machen wir uns auf zu einem Aussichtspunkt, der sich am Nordufer des Lago Deseado befindet. Die Wanderung dorthin dauert rund 1 Stunde und ist sehr abwechslungsreich. Nebst vielen Beeren, Pilzen und all den charakteristischen Bäumen dieser Zone sehen wir auch einen massiven Biberbau. Der Kanadische Biber (Castor canadensis) wurde in den 1940er Jahren wegen seines Felles auf die Insel Feuerland gebracht. Seither breitet er sich hier ungebremst aus, da er keine natürlichen Feinde hat. So traurig es ist, dass der Mensch einmal mehr eine exotische Art eingeführt hat, welche anschliessend grosse Schäden am Ökosystem anrichtet – imposant ist es allemal, was für riesige Bäume dieser Nager fällen und anschliessend verschieben kann, um daraus seinen Bau und Staudämme zu fertigen.
Seno Almirantazgo
Tagsdrauf klingelt unser Wecker deutlich vor dem Morgengrauen. Wir machen uns auf nach Caleta María, einem kleinen Weiler am östlichen Ende des Seno Almirantazgo. Von hier aus fahren wir – zusammen mit einer Gruppe von Freunden, die fischen gehen – mit einem kleinen Motorboot in die Bahía La Paciencia. In dieser Bucht mündet derjenige Fluss ins Meer, welcher den Lago Despreciado entwässert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde hier eine Sägerei betrieben. Sie war für die regionale (Forst-)Wirtschaft von grosser Bedeutung. Noch heute sind Überreste ihrer Bauten sichtbar. Lago Deseado Feuerland Natur
Die Fahrt in die Bahía La Paciencia («Bucht der Geduld») ist ein kleines Abenteuer, das wir so schnell nicht vergessen werden. Der Seno Almirantazgo ist aufgrund seiner geographischen Lage und Ausrichtung sehr oft starken Winden ausgesetzt. So auch am Tag unseres Ausflugs. Das heisst, dass es infolge des starken Wellengangs bereits ein nicht ganz einfaches Unterfangen ist, überhaupt vom Ufer via Schlauchbott ins eigentliche Boot zu gelangen. Danach gilt es, rund 2 Stunden des Schüttelns und Rüttelns durchzustehen und sich auch von der permanenten Gischt nicht entmutigen zu lassen. Die Mühen zahlen sich aber allemal aus, da wir danach in der Bahía La Paciencia während einigen Stunden eine wunderbare Natur erkunden und geniessen dürfen. Lago Deseado Feuerland Natur
Lodge Deseado
Die Region des Lago Deseado bietet eine derart grosse Palette an Fauna, Flora, Geographie, Geschichte, Kultur etc., dass es wirklich schade wäre, nur einen Tagesausflug hierhin zu machen. Mit der Lodge Deseado steht dem Besucher ein idealer Ort zur Verfügung, um richtiggehend in diese grandiose Natur einzutauchen. Das Wetter ist zwar – typisch für die Gegend – wechselhaft, feucht und auch im Sommer kühl bis kalt. Die warme Gastfreundschaft und die hervorragende, lokal angehauchte Küche lassen aber alle Strapazen im Nu vergessen, sobald man sich den einladenden Holzkonstruktionen nähert. Das junge Team begegnet dem Gast immer mit einem Lächeln im Gesicht, ist aufmerksam und sehr dienstleistungsorientiert. Die Infrastruktur ist von hervorragender Qualität.
Wer schon den langen Weg an den Lago Deseado auf sich nimmt, sollte in dieser Gegend unbedingt mindestens 4 oder 5 Tage einplanen. Und auch dann ist die Chance gross, bei der Abreise den starken Wunsch zu verspüren, baldmöglichst zurückzukehren und weiter auf Entdeckungsreise zu gehen. Uns zumindest ist erging es definitiv so. Lago Deseado Feuerland Natur
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