Im südamerikanischen Land Chile leben insgesamt fünf verschiedene Arten von Kleinkatzen. Unser David Couve aus Punta Arenas hat vier von ihnen innert lediglich eines Jahres gesehen. Darunter auch die Andenkatze (Leopardus jacobita), welche nur noch einen sehr tiefen Bestand aufweist und gemäss der IUCN als Stark Gefährdet gilt.
Fünf verschiedene Arten Kleinkatzen
Chile ist ein ausserordentlich langes und abwechslungsreiches Land. In Richtung Nord-Süd erstreckt es sich über mehr als 4000 km und weist entsprechend eine fast endlose Küstenlinie auf. Nur rund 100 km landeinwärts erhebt sich die gigantische Andenkette tausende von Metern in die Höhe.
In diesem faszinierenden Land leben insgesamt fünf verschiedene Arten von Kleinkatzen: Andenkatze, Colocolo, Chilenische Wildkatze, Puma und Kleinfleckkatze.
Unser David Couve hat vier von ihnen innerhalb von nur einem Jahr in freier Wildbahn gesehen. Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Ein aussergewöhnlicher Erfahrungsbericht
Bei einer Tasse Kaffee erzählte mir David von seinen Begegnungen mit den Katzen, wie er diese Momente erlebte. Er schildert mir, warum es für ihn von extremer Wichtigkeit ist, Katzen in freier Natur zu beobachten. Zudem zeigt er auf, welche Fähigkeiten unerlässlich sind, um erfolgreich eine Katze in ihrer natürlichen Umgebung zu finden.
Strahlende Augen
Man sieht es David sofort an: Kleinkatzen faszinieren ihn. Wenn er zu erzählen beginnt, strahlen seine Augen. Er scheint in seiner eigenen Welt zu verweilen, wenn er an die Begegnungen mit den Katzen zurückdenkt.
Doch wie ist es so weit gekommen? Was treibt diesen jungen Mann aus dem extremen Süden Chiles an? Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Erste Begegnungen mit Wildkatzen
Seine ersten Erfahrungen mit den Kleinkatzen machte David zu Studienzeiten. Damals begleitete er seinen Vater Enrique auf Pumabeobachtungstouren (Puma concolor) in der Gegend des Torres del Paine Nationalparks. Enrique Couve notabene ist nichts Geringeres als einer der Gründer und Inhaber von Far South Expeditions. Seit Jahrzehnten bewegt sich der leidenschaftliche Naturalist im Freien, beobachtet und studiert Tiere und Pflanzen und teilt sein Wissen mit Gästen und sonstigen ihm wichtigen Personen.
In den Anfangszeiten der Pumabeobachtung in Patagonien implizierte diese Aktivität stundenlanges Suchen, Laufen und Warten. Es war leider fast an der Tagesordnung, dass die Pumas durch den Menschen gejagt wurden. Entsprechend klein war ihr Bestand und gross ihre Furcht vor uns Zweibeinern. Als Folge davon war eine Pumasichtung ein ausserordentliches Erlebnis, das v.a. dank viel Geduld und Durchhaltevermögen zustande kommen konnte. Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Vater als Mentor
2018 reiste David erstmals explizit in den Norden, um zusammen mit seinem Vater Säugetiere in der freien Wildbahn aufzuspüren. Das Ziel waren dabei vor allem die Vertreter der höchsten Stufe der Nahrungskette, sogenannte Spitzenprädatoren. Diese sind jedoch rar und und entsprechend lange dauerte es jeweils, bis sie ein Individuum fanden. David sagt, die Situation im hohen Norden Chiles sei die gleiche gewesen wie diejenige bei den Pumas ganz im Süden des Landes. “Wir standen extrem früh auf und verbrachten den ganzen Tag im Gelände, auf der Suche nach den Katzen. Erst spät abends kehrten wir jeweils wieder in die Unterkunft zurück. Mit im Gepäck hatten wir Wasser und ein paar Sandwiches – sowie die Entschlossenheit meines Vaters, der nie zur Ruhe kommt.”
Chile Wildkatzen Andenkatze Beobachtung
All die Zeit, die sie wartend, marschierend und suchend verbrachten, wussten sie äusserst effizient und bereichernd zu nutzen. Nur weil sie etwas Anderes suchten, hiess es nämlich noch lange nicht, dass es auf dem Weg dorthin nichts Interessantes zu sehen gab. David profitierte von Enriques jahrelanger Erfahrung im Gelände und dessen exzellenten Kenntnissen zur Fauna und Flora und baute sich so nach und nach einen grossen Wissensfundus zur Natur im Allgemeinen auf. Sie beobachteten Vögel, Insekten, Reptilien, Pflanzen, kleine Säugetiere etc. Wer sich Zeit nimmt und aufmerksam ist, findet auch in einer vermeintlich öden Landschaft wie dem Altiplano erstaunlich viel Leben.
Katzen im Andenhochland
Der Colocolo (Leopardus colocolo) und die Andenkatze (Leopardus jacobita) leben u.a. in der Gegend von Putre, ganz im Norden Chiles. Hier, teils direkt angrenzend an Bolivien, gibt es mehrere Schutzgebiete. Der Nationalpark Lauca, das Naturdenkmal Salar de Surire sowie das Naturschutzgebiet Las Vicuñas umfassen zusammen eine Fläche von 360’000 ha. Innerhalb dieser geschützten Gebiete gibt es Privatgelände, auf welchen Ureinwohner der Ethnie Aymara leben. Mit ihnen pflegen die Couves mittlerweile eine enge Freundschaft. Dank gegenseitigem Respekt und Unterstützung können sich die Südchilenen David und Enrique mehr oder weniger frei bewegen, und so optimale Routen auswählen, die sie zu den Katzen bringen sollen. Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Ortsungebundenes Wohnen
Die Distanzen in jener Region sind riesig, die Besiedlung sehr dünn. Da bot es sich an, ein geländegängiges Wohnmobil zu kauen, sodass sie ortsungebundener sind. Auf diese Weise können sie übernachten, wo es strategisch am meisten Sinn macht und nicht dort, wo es eben eine der spärlich gesäten Unterkünfte hat. Aufgrund der Pandemie dauerte die Anschaffung und die Überschreibung auf den neuen Besitzer deutlich länger als geplant. Im Verlaufe des Jahres 2020 konnten sie das Wohnmobil aber endlich ihr eigen nennen.
Colocolo im Hochland bei Parinacota
Wie so oft machten sich David und Enrique auch an jenem Tag im Oktober 2022 in den frühen Morgenstunden auf den Weg. Im Altiplano, nahe der Ortschaft Parinacota, positionierten sie sich mit Blick auf eine Gruppe von Flamingos. Diese hübschen, rosafarbenen Vögel ernähren sich von den Kleinlebewesen und Krustentieren, die in den zahlreichen Hochlandlagunen leben. Ihrerseits sind sie jedoch eine von den Wildkatzen sehr gern gemochte Beute. Die beiden Herren Couve waren noch nicht einmal richtig in ihrem Versteck, als sie eine Katze sahen. Diese war jedoch gerade dabei, sich von ihnen wegzudrehen und den Hügel hinaufzurennen. Oben angelangt versteckte sie sich.
David sagte zu seinem Vater: “Dort ist eine Katze. Dort ist sie.” Sie warteten eine halbe Stunde. Nichts geschah. Sie warteten noch immer. Endlich, nach vielleicht einer Stunde, erhob sich ein Kopf über dem Grat. Enrique sah die Katze sofort. Sie begannen, Fotos zu schiessen. Die Katze ihrerseits beobachtete die zwei, setzte sich hin. Sie schaute nach hinten, dann wieder nach vorne. Sie erhob sich, begann sich zu strecken. Dann verschwand sie und wurde nicht wieder gesehen. Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Chilenische Waldkatze auf Chiloé
Die chilenische Waldkatze (Leopardus guigna), auch Kodkod oder Nachtkatze genannt, lebt primär in den Wäldern Zentral- und Südchiles. Dass sie gemäss der Roten Liste der IUCN als Gefährdet eingestuft ist, sagt schon viel über ihren (kleinen) Bestand in der freien Wildbahn aus.
David’s gutes Auge, seine enorme Geduld sowie die Bereitschaft, täglich viele Kilometer zu gehen und das Territorium nach Spuren abzusuchen, belohnten ihn im Dezember 2022 mit mehreren Sichtungen dieser Wildkatze. Im Rahmen einer Wildtierbeobachtungstour verbrachte er eine knappe Woche mit Gästen auf der Insel Chiloé. Das Waldreservat Tepuhueico ist ein praktisch unberührtes Paradies. 20’000 ha weitgehend unerschlossene Waldfläche bieten vielen Tieren und Pflanzen einen willkommenen Lebensraum.
Die Existenz der Chilenischen Waldkatze im Tepuhueico Park war bekannt. Gesichtet worden war sie jedoch kaum.
Die Kleingruppe, bestehend aus drei Gästen, David und dessen Vater Enrique scheute sich nicht davor, jeden Tag 20 bis 30 km zu Fuss zurückzulegen. David ist dabei ehrlich und sagt ganz klar: “Wer einfach eine schöne Reise haben und abwechslungsreiche Landschaften sehen will, für den ist diese Tour nichts. Sie ist gedacht für diejenigen Gäste, die viel Geduld, Durchhaltewillen und Entschlossenheit haben.” Bei all ihren Märschen waren sie immer aufmerksam und darauf bedacht, jegliche Spuren der Katze zu registrieren. Die Kombination aus vielen verschiedenen Puzzleteilen führte sie schliesslich zu insgesamt 7 Sichtungen. Meist sahen sie nur ihre grünen Augen im Scheinwerferlicht der Taschenlampe. Bei einer Sichtung jedoch sahen sie die Chilenische Waldkatze klar und deutlich während rund 20 Sekunden, ehe sie im Dickicht verschwand.
Die Gruppe rund um David war jeweils ab den frühen Morgenstunden bis in die Nacht hinein draussen unterwegs. Eine kurze Verschnaufpause gab es nur über Mittag. Alle Sichtungen fanden in der Dämmerung statt. Tagsüber sahen sie keine einzige Katze.
Puma in Patagonien
In den vergangenen Jahren hat David zahlreiche Pumas in der Wildnis beobachten können. Im Torres del Paine Nationalpark und auf der östlich daran angrenzenden Estancia Laguna Amarga leben mindestens 40 bis 50 Individuen. Far South bietet dezidierte Pumasafaris an. David ist einer von mehreren Reiseführern, die diese Touren leiten. Auch wenn eine Pumasichtung daher für ihn mittlerweile nichts völlig Aussergewöhnliches mehr ist, so hat dennoch jede Begegnung mit dieser Wildkatze seinen Reiz. Er mag es noch sehr, sich im freien Gelände zu bewegen, auf Hinweise der Natur zu achten und die Herausforderung anzunehmen, diese Tipps richtig zu interpretieren, um schliesslich zum Puma zu gelangen. Insbesondere die Guanakos sind dabei eine wichtige Stütze. Diese Neuweltkamele sind nämlich die hauptsächliche Beute der Pumas und haben daher effiziente Strategien entwickelt, um nicht in den scharfen Krallen der Katze zu enden. Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Andenkatze – das Tüpfchen auf dem i
Wäre da schliesslich noch die Andenkatze. Der Moment, in dem David diese seltene Kleinkatze sah, hat sich wahrscheinlich für immer in seinem Gedächtnis festgegraben.
Ende November 2022 war David zusammen mit einem Gast für 10 Tage im Norden Chiles. Das Hauptziel dieser Tour war das Aufspüren der Andenkatze. Sein Gast hatte schon die ganze Welt bereist, um Säugetiere zu sehen und zu dokumentieren. Der Druck und die Erwartung, die Andenkatze zu finden, waren entsprechend beträchtlich.
Die beiden Männer waren also während mehr als einer Woche im Hochland unterwegs, stets nach dieser Katze Ausschau haltend. Die Suche war intensiv und energiezehrend. Sie begann jeweils in den ersten Morgenstunden und endete erst nachts, unterbrochen lediglich von einer Siesta über Mittag. Zudem ist das Altiplano relativ öd. Es gibt kaum Pflanzen, und auch die Tierwelt ist dünn gestreut. Die zwei verbrachten Tag um Tag im Gelände, und mit viel Glück sahen sie höchstens ab und zu einen Fuchs oder ein Stinktier. Die Zeit lief ihnen davon, die Moral begann zu sinken. Doch da, im allerletzten Moment, sahen sie die Andenkatze doch noch. Und zwar nicht eine, sondern gar deren zwei! Und das erst noch mit einer eben erst gefangenen Beute. Was für ein unglaubliches Erlebnis. Die Sichtung fand kurz nach Mitternacht statt. Der letzte Beobachtungstag war also bereits vorüber. Es war schon der Tag der Abreise.
Katzensichtungen im Rückblick
Blickt er auf das vergangene Jahr zurück, steigen in David viele verschiedene Gefühle hoch. Glück, Dankbarkeit, Genugtuung, Stolz, aber auch Bescheidenheit. Die Katzen sind extrem schlaue, vorausschauende Tiere und wissen genau, wann ein Mensch sie sucht und wo er sich aufhält. Nicht zuletzt dank ihrer enormen Aufmerksamkeit und Anpassungsfähigkeit haben sie es geschafft, über Jahrtausende hinweg von Alaska bis ganz hinunter nach Patagonien zu leben und ihren Fortbestand zu sichern. Bilden wir uns deshalb nicht ein, wir würden die Katzen ohne ihr Wissen finden. Sie nehmen sehr genau wahr, was um sie herum passiert. Entweder lassen sie es zu, dass sie vom Menschen gesehen werden – oder sie zeigen sich eben nicht. Chile Kleinkatzen Andenkatze Beobachtung
Blick in die Zukunft
David gibt sich zurückhaltend auf meine Frage hin, wo er sich in den kommenden Monaten und Jahren sieht. Nun, eines seiner Hauptziele ist es, die Kleinfleckkatze (Leopardus geoffroyi) live zu sehen. Es ist dies die fünfte in Chile lebende Wildkatzenart und gleichzeitig die einzige, die David noch nie in freier Wildbahn beobachten konnte.
Ferner hofft er, dass es auch weiterhin regelmässig Touren mit Gästen gibt, die sich explizit der Beobachtung von Kleinkatzen widmen. Ein respektvolles Verhalten von uns Menschen im Revier der Katzen trägt dazu bei, dass sie die Furcht vor uns verlieren. Sie merken, dass wir ihnen nichts Böses antun wollen. Entsprechend werden sie eine gewisse Bereitschaft entwickeln, sich von uns beobachten zu lassen. Das Beispiel der Pumas in Patagonien zeigt diese Entwicklung eindrücklich auf. Heute ist der Ökotourismus, der sich der Pumabeobachtung verschreibt, ein wichtiger Wirtschaftszweig der Region.
Es geht aber weit darüber hinaus. Hat eine Tierart eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung und Bekanntheit in der Bevölkerung, ist die Bereitschaft viel grösser, die Tiere und ihren Lebensraum zu schützen. Dies wiederum kommt nicht nur den geschützten Tieren an sich zugute, sondern hilft, das gesamte ökologische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten.
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