Wir befinden uns in einem wilden Labyrinth von Fjorden. Ausgedehnte Wälder und Graslandschaften legen sich wie ein grüner Teppich über die Hügel und auf den Berggipfeln liegt noch etwas Schnee. Über unseren Köpfen ziehen Skuas und Schwarzbrauenalbatrosse ihre Kreise.
Ab und zu taucht unerwartet ein Tauchsturmvogel neben unserem Boot aus dem Wasser auf und fliegt eifrig davon. Als wäre diese Szene noch nicht eindrücklich genug, erscheinen im Umkreis von wenigen Hundert Metern um uns herum immer wieder Buckelwale an der Wasseroberfläche, stossen ihren Blas zum Himmel und tauchen wieder ab. Magellanstrasse Francisco Coloane Meeresschutzgebiet
Rund um die Insel Carlos III im Herzen der Magellanstrasse im Süden Chiles befindet sich das Meeresschutzgebiet Francisco Coloane. Es wurde 2003 ins Leben gerufen, um diese Gegend, die zahlreichen (Meeres-)Tieren Nahrung, Schutz und Fortpflanzungsmöglichkeiten bietet, zu erhalten und vor den menschlichen Einflüssen zu bewahren. Sein Name erhielt es in Ehre des chilenischen Schriftstellers, der sich sehr mit Patagonien verbunden fühlte und der als Ort des Geschehens gleich mehrerer seiner Klassiker über Seefahrt und sonstige Abenteuer diese schroffe Umgebung im südlichsten Zipfel seines Landes auswählte.
Das wohl emblematischste Tier des marinen Parks ist der Buckelwal. Jahr für Jahr ab Ende Oktober kommt eine stabile Population dieser sanften Riesen hierher, um sich zu ernähren und um ihre Jungen grosszuziehen. Den Winter verbringen sie rund 7000 km nördlich der Magellanstrasse, vor den Küsten Ecuadors und Kolumbiens, um sich fortzupflanzen. Unglaublich, was für Distanzen diese Tiere also im Halbjahresrhythmus zurücklegen. Umso eindrücklicher ist diese Reise, wenn man bedenkt, dass auf dem Weg zahlreiche Gefahren lauern (v.a. Frachtschiffe), die Pazifikküste Patagoniens ein wirres Labyrinth aus unzähligen Fjorden und Kanälen ist und dass die Juntiere nur ein einziges Mal in Begleitung ihrer Mutter hierherkommen. Im Folgejahr müssen sie den Weg selbst finden können. Den Sommer nutzen die Buckelwale daher, um ihre Fettreserven wieder aufzufüllen und sich von der langen Reise zu erholen resp. sich auf die Rückreise vorzubereiten.
Inmitten dieser unberührten, sagenumworbenen Magellanstrasse beobachten wir also die Buckelwale und ihre Jungen. Ab und zu schwimmen sie entspannt und scheinbar fast geistesabwesend an der Oberfläche. Zu anderen Zeiten wiederum jagen sie, begleitet von allerlei Vögeln und Robben, den Fischschwärmen hinterher, um sich damit den Bauch zu füllen. Wiederum in anderen Momenten scheinen sie sich einfach nur zu vergnügen oder allenfalls einem Putzritual zu unterziehen, wobei sie mit der Fluke heftig auf die Meeresoberfläche schlagen oder sogar den gesamten Körper kraftvoll aus dem Wasser hieven, um danach mit einem lauten Knall wieder runterzuplumsen. Relativ häufig und äusserst imposant zu beobachten ist das Verhalten der Wale vor dem Abtauchen. Sie holen noch einmal tief Luft, krümmen den Rücken und während der Körper vom Kopf her langsam in die Tiefe sticht, hebt sich die Fluke (Schwanzflosse) majestätisch in die Höhe.
Die Buckelwalpopulation wird seit 20 Jahren wissenschaftlich begleitet und studiert. Individuen lassen sich an ihrer Rückenfinne und Fluke eindeutig bestimmen. Insbesondere die Form und Farbe der Fluke variieren deutlich von einem Tier zum anderen. Dabei scheinen diese Merkmale nicht genetisch bedingt zu sein. Dank der jahrelangen akribischen Arbeit kennt man heute bereits drei Generationen und insgesamt fast 200 Einzeltiere.
Je nach Art der Bootsreise, für die man sich entscheidet, besteht die Möglichkeit, den Wissenschaftern bei ihrer Arbeit direkt über die Schulter zu schauen und in der Forschungsstation auf der Insel Carlos III zu logieren. Dabei wird das Gesamterlebnis im Meeresschutzgebiet auf mehrere Tage ausgedehnt, auf eine wissenschaftliche Basis gelegt und man hat ausreichend Zeit, in die Welt dieser sanften Riesen einzutauchen.
Der marine Park Francisco Coloane bietet aber bei Weitem nicht nur Buckelwalbeobachtung. Für mich ist es das Gesamtpaket, das die Magie ausmacht. Es beginnt damit, dass wir uns drei Tage im praktisch menschenleeren Gebiet aufhalten. Schon kurz nach Abfahrt passieren wir den Leuchtturm von San Isidro, der mit dem angrenzenden Museum und dem (ehemaligen) Gasthaus die letzten Gebäude darstellt. Später lassen sich noch der eine oder andere erspähen. Wracks zeugen zudem von den vergangenen Zeiten, in welchen nicht selten ein Schiff (teils mitsamt seiner Mannschaft) den Kampf gegen Wind und Wetter verloren hatte. Abgesehen von diesen Spuren menschlicher Aktivitäten sind wir aber alleine inmitten dieser grossartigen Landschaft. Vogelliebhaber kommen voll auf ihre Rechnung. Vom Boot aus sehen wir u.a. Riesensturmvögel, Skuas und Scharben. Ab und zu drehen Andenkondore hoch über uns majestätisch ihre Kreise oder es erscheint eine winzige Buntfuss-Sturmschwalbe wie aus dem Nichts.
Wer sich für die längere Tourvariante und somit für einen Aufenthalt auf der Insel Carlos III entscheidet, wird dort weitere Vogelarten wie den Schopfkarakara, die Graukopf-Ammertangare, den Chilekolibri oder gar den Rotbrustfischer beobachten können. Während den Sommermonaten nisten Magellanpinguine in einer Kolonie auf einer kleinen Insel im Park. Zudem gibt es mehrere Mähnenrobben-Kolonien und auch der Südamerikanische Seebär ist allgegenwärtig. Magellanstrasse Francisco Coloane Meeresschutzgebiet
Mich persönlich fasziniert der Gletscher der Insel Santa Inés enorm. Auf unserem kleinen Boot tuckern wir durch den engen Fjord Seno Ballena (zu Deutsch “Walbucht”) ehe sich uns plötzlich eine enorme Gletscherzunge präsentiert, die direkt ins Meer kalbert. Auf den Eisschollen sitzen elegante Falklandseeschwalben. Der Gletscherwind peitscht uns um die Ohren, ab und zu fällt ein Schneeregenschauer auf uns herab. An den Ufern des Fjordes sind deutlich die Spuren zu sehen, welche der Gletscher bei seinem Durchzug hinterlassen hat. Die Vegetation hat Teile dieses neuen Lebensraumes für sich zurückerobert. An steilen Wänden und dort, wo sich der Gletscher erst kürzlich und mit grossem Tempo zurückgezogen hat, liegt kahler Fels. Der Motor des Bootes ist ausgeschalten, wir verweilen stumm auf dem Deck und bestaunen diese Rauheit und Schönheit der Natur. Was für ein Gefühl der Demut mich da beschleicht und wie nichtig der Mensch im Gegensatz zu unserer grossartigen Mutter Erde doch ist. Magellanstrasse Francisco Coloane Meeresschutzgebiet
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