Die imposanten Felstürme des Torres del Paine im Morgengrauen bestaunen? Zusehen, wie sich ein Puma einem Guanako anpirscht? Staunen darüber, wie sich doch so fragil wirkende Pflanzen im rauhen Klima der Präanden behaupten können? Sich dem Spektakel hingeben, das eine kleine Lagune inmitten der Patagonischen Steppe bietet, die unzähligen Vögeln der unterschiedlichsten Arten Nahrung und Lebensraum bietet? Und das alles, ohne auch nur einen Fuss in den Nationalpark Torres del Paine zu setzen? Genau das und vieles mehr durften wir im Rahmen eines kleinen Familienausflugs erleben und geniessen.
Die Laguna Amarga am Rande des Torres del Paine ist wohl der weltweit beste Ort, um Pumas in freier Wildbahn zu beobachten. Nirgendwo sonst ist die Dichte an Pumas so hoch wie auf dieser Estancia. Dass das Ganze von der fantastischen Kulisse des Paine-Massivs und der Torres-Felstürme umrahmt wird und in die typische Landschaft der Patagonischen Steppe eingebettet ist, macht das Erlebnis nur noch intensiver und einzigartiger. Bis vor nicht allzu langer Zeit war es gang und gäbe, dass die Grundbesitzer Pumas erlegten, um zu verhindern, dass diese ihre Schafe reissen. Mittlerweile ist aber eine neue Generation auf den Estancias herangewachsen, die für ein tolerantes Miteinander plädiert. Es ist dadurch möglich geworden, dass interessierte Besucher die Pumas in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten und gleichzeitig auf dem Gebiet derselben Estancia Viehwirtschaft betrieben wird, wobei die Schafe von Herdenschutzhunden bewacht werden, um zu verhindern, dass sie dem Puma zum Opfer fallen.
Wer Pumas sehen will, muss früh aus den Federn resp. bis spät aufbleiben. Die Wildkatzen jagen in der Dämmerung und profitieren dabei davon, dass dann ihre primären Beutetiere, die Guanakos, ein deutlich vermindertes Sehvermögen haben. Das frühe Aufstehen wird aber mehr als belohnt mit der Tatsache, ein so elegantes und schwer fassbares Tier wie den Puma in freier Wildbahn beobachten zu können. Wenn dann noch die ersten Sonnenstrahlen das imposante Paine-Massiv in ein warmes, rötliches Licht tauchen lassen, fühlt man sich irgendwie in einer anderen Welt.
Die Sierra Baguales ist ein relativ kleiner, West-Ost ausgerichteter Gebirgszug an der Grenze zwischen Chile und Argentinien, rund 130 km nordöstlich von Puerto Natales. Er besticht durch seine Unberührtheit, seine immense Schönheit sowie seine geologischen und paläontologischen Schätze. In den Sedimentschichten, die im Verlaufe der Jahrmillionen dank der Erosion durch Wind und Wasser zu Tage gebracht worden sind, befinden sich unzählige Versteinerungen.
Zweckdienlicher und interessanter könnte die Zusammensetzung unserer Kleingruppe kaum sein, um einen so vielfältigen Ort wie die Sierra Baguales zu erkunden: Ein Botaniker, ein Ornithologe / Fotograf, eine Geografin sowie eine ortskundige Reiseleiterin. Immer wieder mal kniet oder legt sich der Botaniker auf den Boden, um eine spezifische Pflanze aus nächster Nähe zu betrachten. Obschon er assoziierter Professor an einem botanischen Universitätslabor ist und entsprechend über ein enormes Wissen verfügt, findet er zahlreiche Pflanzen, die ihm neu sind. Er vermutet sogar, dass einige davon einzig und allein in dieser Region und nirgendwo sonst in Chile vorkommen.
Der Ornithologe findet seine Glückseligkeit u.a. beim Beobachten und Ablichten der Kordillerenammertangare, des Weisskehrkarakara oder des Hellschulter-Nonnentyranns.
Mich als Geografin wiederum fesselt v.a. die einmalig schöne Landschaft, welche die Fauna und Flora auf eindrückliche Art und Weise in Szene setzt. Spektakuläre Bergspitzen, schroffe Felswände, sanft geformte U-Täler und mäandrierende Bäche liegen nahe beieinander. Kissen der Anarthrophyllum desideratum mit ihren intensiv roten Blüten, leuchtend gelbe Oreopolus glacialis oder lilafarbene Primula magellanica kontrastieren mit dem Goldgelb der Gräser (z.B. Festuca gracillima).
Ab und zu taucht auf dem Grat ein Guanako auf. Ein Adler fliegt majestätisch durch die Lüfte. In Gedanken versunken wandere ich durch die menschenleere Landschaft und lasse die vielen Eindrücke auf mich wirken. Wie es hier vor Jahrmillionen ausgesehen haben mag, als all diejenigen Tiere und Pflanzen lebten, die wir heute als Fossilien in den Steinen bewundern können? Wie wird sich diese Gegend in einigen Hunderttausend Jahren präsentieren? Wie wird nur schon die Generation unserer Kinder die Sierra Baguales vorfinden und wahrnehmen? Wie intensiv und permanent müssen die Kräfte von Wind und Wasser sein, um solch spektakuläre Landschaften zu formen.
Das Awasi Patagonia ist in jeder Hinsicht ein erstklassiges Hotel. Es liegt eingebettet in den charakteristischen magellanschen Wald, bietet eine fantastische Aussicht auf die Felstürme Torres del Paine und trumpft nebst seiner gelungenen Architektur und Infrastruktur mit personalisiertem und sehr professionellem Service auf. An unserem Abreisetag mache ich mich bei Sonnenaufgang auf, die Krete der Sierra Contreras zu besteigen. Es ist dies quasi der Hausberg des Awasi. Die erste knappe Stunde führt mich mehrheitlich durch einen Lengawald. Dabei bin ich stets auf der Hut, ob ich vielleicht auch hier noch einen Puma erblicken kann. Leider (oder zum Glück; bin ich doch alleine unterwegs) kommt mir aber keiner zu Gesicht. Dafür habe ich immer wieder mal Gesellschaft von Magellandrosseln. Spannend, dass die hiesigen Individuen einen markant weniger intensiv gelben Schnabel haben als bspw. diejenigen, die im Küstengebiet der Magellanstrasse leben.
Während ich im Morgengrauen dem Wanderweg entlang gehe, sehe ich 1:1, wie sich die Morphologie der Bäume auf engstem Raum verändert. Zum Teil sind sie mächtig, gut ausgebildet und rund 8 bis 10 Meter hoch. Wenige Gehminuten später jedoch stehe ich vor Individuen derselben Art, die nur knapp grösser sind als ich selbst, zudem knorrig und in Schieflage wachsend.
Es ist unmissverständlich, welch starker Einfluss der Wind resp. letztlich die Geländeform, die einen bestimmten Standort mehr oder weniger dem Wind aussetzt, auf das Baumwachstum hat. A propos Wind: Sobald ich nach rund einer Stunde den Wald verlasse und ins offene Gelände trete, peitscht mir erbarmungslos ein starker Wind entgegen. Ich schliesse den Reissverschluss meiner Jacke vollständig, ziehe die Kapuze über den bereits mit einer Wollmütze bedeckten Kopf und stecke die Hände, die selbstverständlich bereits von Handschuhen geschützt sind, in die Jackentasche. Zügig marschiere ich weiter. Zu Beginn ist noch so etwas wie ein Pfad erkennbar. Später suche ich mir meinen Weg durch die Geröllhalde selbst. Es hat hier nur noch wenige Pflanzen, was bei diesem rauhen Klima aber auch nicht weiter verwunderlich ist.
Das Gelände ist steil und, infolge des vielen Lockergesteins, rutschig. Es will also gut ausgesucht sein, wo genau der Fuss beim nächsten Schritt hingesetzt wird. Nur ist die Umsetzung dieses Planes nicht immer ganz einfach. Die starken und unregelmässig auftretenden Windböen bringen mich nicht selten etwas unerwartet in Schieflage, sodass ich den Fuss so absetzen muss, dass ich das Gleichgewicht halten kann und nicht so, wie es eigentlich aufgrund meiner alpinen Erfahrung meine Absicht gewesen war. Auf der Krete der Sierra Contreras erwartet mich ein imposantes Panorama. Fast rundum hat es Berge, deren Gipfel grösstenteils schneebedeckt sind. Im Flachland liegen scheinbar unendliche Steppen, durchsetzt von Seen und Lagunen sowie dem einen oder anderen Fluss. Dazwischen legen sich die magellanschen Wälder wie grüne Teppiche an die Berghänge. Der stürmische Wind lädt einem alles andere als zu einem gemütlichen Verweilen auf dem Gipfel ein. Daher mache ich mich schon bald wieder auf den Rückweg. Noch lange jedoch werde ich von den vergangenen paar Stunden und den gemachten Erlebnissen zehren. Voller Dankbarkeit und Bewunderung sauge ich nochmals so viele Impressionen wie möglich in mir auf. Das traumhafte Panorama auf der Krete der Sierra Contreras; die äusserst widerstandsfähigen Pflanzen, die hier überleben; die unermüdlichen Guanakos, denen scheinbar kein Habitat zu lebensfeindlich ist; das harsche Klima; die Menschenleere.
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