Intensive Herbstfarben, warmes Licht, erster Neuschnee in der Höhe und kaum mehr Touristen unterwegs. Besser hätten die Vorzeichen für unseren Ausflug in die wilde Region Aysén im Süden Chiles nicht sein können.
Ende April machten wir uns mit unserem Freund Eliot aus den USA auf, Nordpatagonien zu erkunden. Zu dritt deckten wir diverse Interessen und Fachkenntnisse ab, u.a. Fotografie, Botanik, Vogelkunde und Geografie. In dieser spektakulären Umgebung, wie Aysén sie bietet, kam jeder voll und ganz auf seine Kosten. San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Chilenische Region Aysén
Das Gebiet an der mythischen Carretera Austral ist Teil der chilenischen Region Aysén. Letztere ist flächenmässig die drittgrösste Region des Landes, weist aber sowohl absolut wie auch relativ (Einwohner pro km2) die dünnste Besiedlung auf. Statt viele Häuser und Infrastrukturen erwarten uns in Aysén vorwiegend Wälder, Seen, Flüsse, Berge und Steppenlandschaften. Ein Traum für jeden Naturliebhaber! San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Tor zum Pazifik und zur Welt
Unsere Eintrittspforte in die Region Aysén ist der Flughafen von Balmaceda. Dieser liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zu Argentinien entfernt, rund eine Autostunde ausserhalb der Regionshauptstadt Coyhaique. Die Landschaft dort ist leicht hügelig, von Steppenvegetation bedeckt und relativ trocken. In den kommenden rund drei Stunden ändert sich das Bild dann völlig. Wir fahren auf einer gut ausgebauten Strasse westwärts, vorbei an Coyhaique und durch die eindrückliche Schlucht des Rio Simpson, bis wir in das breite Mündungsgebiet des Rio Aysén gelangen. Das ehemalige Tor zum Pazifik – Puerto Aysén – lassen wir aussen vor und fahren direkt nach Puerto Chacabuco.
San Rafael Patagonien
Gleich zwei Seehäfen so nahe beieinander, mag sich der Leser nun fragen, macht das Sinn? Nun, wie es der Name vermuten lässt, war Puerto Aysén tatsächlich einst ein wichtiger Hafen. Via den Fluss Aysén verkehrten die Schiffe zwischen der Kleinstadt und dem Meer. Mitte des 20. Jahrhunderts jedoch führten vermehrte Geschiebetransporte zur einer Verklausung des Flusses, wodurch er für die grossen Schiffe unpassierbar wurde. Damit war Puerto Aysén nicht mehr ausreichend an das Meer angebunden. Es musste eine neue Hafenanlage gebaut werden, direkt am Ufer des Aysén-Fjords, im heutigen Puerto Chacabuco.
Bootsausflug zur Laguna San Rafael
Am zweiten Tag unserer Reise steht ein aufregender Bootsausflug auf dem Programm. Wir fahren zur Laguna San Rafael, die sich im gleichnamigen Nationalpark befindet. Der Gletscher San Rafael ist eine von mehr als 20 Eiszungen, die vom Nördlichen Patagonischen Eisfeld her talwärts fliessen. Den ganzen Tag über jagt ein Höhepunkt den anderen. Die Menschenleere; die endlosen, tiefgrünen Wälder; die Berge, die steil aus den Fjorden ragen; die kalte, frische Luft und dann natürlich die Laguna San Rafael selbst und der kalbernde Gletscher. Die intensiven und diversen Blautöne von Wasser und Eis sind schlicht unbeschreiblich. Im Wasser schwimmen Eisberge, darauf ruhen sich nicht selten Seeleoparden aus. An Land reihen sich kleinere Eisblöcke wie Perlen aneinander. Wir fühlen uns in einer anderen Welt.
Bunte Herbstfarben im Süden
Unsere 10-tägige Reise steht unter dem Motto “(Herbst-)Farben”. Nach dem vielen Grün und Blau in der Gegend von Puerto Chacabuco führt uns unser Weg nun südwärts zu den bunten Herbsttönen. Die kommenden Tage verbringen wir im Raum Puerto Rio Tranquilo. San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Marmorkathedralen bei Puerto Rio Tranquillo
Als eines der Highlights dieser Gegend zählt zweifellos der Ausflug zu den Marmorkathedralen. Es sind dies Felsen, die über Jahrtausende hinweg von Wind und Wasser geschliffen wurden, sodass skurrile Formationen zurückgeblieben sind. Das Spezielle ist zudem, dass diese Marmormonumente im intensiv blauen, binationalen General Carrera-See liegen. Sie werden also im Rahmen eines Bootsausfluges besichtigt. Dank des tiefen Wasserpegels jetzt im Herbst können wir mit unserem kleinen Boot sogar in einige Höhlen und Tunnels hineinfahren. Was uns dort erwartet, lässt uns den Mund offen stehen. Das Licht wird durch das Wasser an die perfekt polierten Marmorwände reflektiert. Mancherorts scheint sogar die Sonne direkt an den Stein und bringt ihn zum Strahlen. Die Marmorblöcke sind häufig absolut rein. An einigen Stellen sind sie kunstvoll von dünnen Venen andersfarbiger Mineralien durchsetzt. Ein Spektakel, das seinesgleichen sucht.
Unberührtes Exploradores-Tal
Westlich des Dorfes Puerto Rio Tranquilo liegt das wilde Exploradores-Tal. Im Eingangsbereich ist es noch besiedelt. Schon bald jedoch werden die Häuser weniger und die Natur rauher. Ganz allgemein ist das Tal stark von den Naturgewalten geprägt. Murgänge, Steinschlagaktivitäten, Flussverklausungen und daraus resultierende Wasserlaufstauungen etc. prägen die Landschaft.
Mit erstaunlicher Ingenieurleistung ist es aber gelungen, eine Strasse in diese entlegene Gegend zu bauen. Dies wiederum ermöglicht es uns, die atemberaubende Schönheit der Natur im Valle Exploradores zu erkunden und zu geniessen. Bunte Südbuchenwälder legen sich wie farbige Teppiche auf den Talboden und an die Berghänge. Der Rio Exploradores schlängelt sich nach Belieben durch das breite Tal. Auf den Bergen liegt der erste Neuschnee. Für aktive Gäste hält der Exploradores-Park mehrere Spazierwege bereit. Sie führen durch den dichten Regenwald hin zu phänomenalen Aussichtsplätzen mit Blick aufs Tal und auf den Exploradores-Gletscher. Und bei all dem Wasser und den Höhendifferenzen in diesem Tal gibt es natürlich auch immer wieder Wasserfälle zu bestaunen. Nicht wenige befinden sich praktisch an der Strasse und sind somit bestens zugänglich. San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Carretera Austral – Lebensader der Region Aysén
Der Bau der Carretera Austral zählt zweifellos zu den grössten technischen Meisterleistungen Chiles im 20. Jahrhundert. Bis nach Mitte des Jahrhunderts war die Gegend zwischen Puerto Montt und dem Südlichen Patagonischen Eisfeld nur über Wasser oder durch die Luft zu erreichen. In den 1980er jedoch begann die “Südliche Strasse” Form anzunehmen. Seither wurde sie ständig erweitert und ausgebaut, sodass sie sich mittlerweile über gut 1300 km erstreckt. Sie führt von der Seenregion bis fast zur Grenze zwischen den beiden Regionen Aysén und Magallanes.
Noch heute ist ein Grossteil der Strecke unbefestigt. Zudem stellte die schwierige Topografie mit ihren Bergen, reissenden Flüssen, Eisfeldern etc. eine grosse Herausforderung für die Streckenführung dar. Entsprechend kurvenreich ist die Strasse, steile Aufstiege wechseln sich mit ebenso drastischen Abfahrten ab. Das Ganze ist garniert mit losem Kies und/oder Schlaglöchern in der Fahrbahn. Doch ist es gerade diese schwierige Befahrbarkeit, die einem insbesondere in der südlichen Hälfte der Carretera Austral zum langsamen Fahren zwingt, welche den Reiz dieser Strasse ausmacht. Man erlebt die Fahrt und die Umgebung ungleich intensiver, als wenn auf einer Autobahn mit 80 oder 100 km/h durch die Gegend gebrettert würde. San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Tiefblaues und türkisfarbenes Wasser
Die Fahrt von Puerto Rio Tranquilo nach Cochrane nehmen wir also gemütlich und geniessen die wunderbaren Landschaften. Zuerst dominiert linkerhand der grosse General Carrera-See das Bild. Dann passieren wir auf einer orangefarbenen Hängebrücke die schmale Verbindung zum Bertrand-See. In der Folge wechseln sich die Kulissen, die sich uns bieten, ab. Mal befinden wir uns am Berghang hoch über einem Gewässer, mal fahren wir durch dichten, farbenfrohen Südbuchenwald, mal bewegen wir uns in unmittelbarer Nähe des Ufers des traumhaften Lago Bertrand. Letzterer wird durch den Rio Baker entwässert. Dieser Fluss gilt als der abflussstärkste in ganz Chile. Entsprechend wurde er immer wieder für die Stromproduktion ins Auge gefasst. Das vorerst letzte Projekt in diesem Zusammenhang (“HydroAysén”) wurde 2014 wegen der vielen Proteste sowie verschiedener Mängel gestoppt.
Marmorkathedralen
Dank dessen ist der Fluss Baker bis heute weitestgehend naturbelassen geblieben. Dies macht ihn insbesondere bei Fischern und Wildwasserbootfahrern (Raftern) sehr beliebt. Seine intensiv türkisblaue Farbe lässt zudem jedes Fotografenherz höher schlagen.
Auf dem Weg nach Cochrane rückt der prächtige Fluss mehrfach unvermittelt in unser Blickfeld. Wenn immer möglich legen einen Halt ein, um ihn zu bestaunen und seine eindrücklichen Farben auf uns wirken zu lassen, oder sie mit der Fotokamera einzufangen. San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Nationalpark Patagonia
2018 erhielt die Region Aysén mit dem Parque Nacional Patagonia ein neues Schutzgebiet auf höchster Stufe. Es umfasst gut 300’000 ha. Im Süden grenzt es an die Kleinstadt Cochrane und den gleichnamigen See, im Norden reicht es fast bis an den riesigen Lago General Carrera. Insbesondere im Chacabuco-Tal wurde im vergangenen Jahrhundert intensiv Viehwirtschaft betrieben. Dementsprechend stark war der Druck auf die Natur. Nun aber wird eine grossangelegte Renaturierung jener Gegend angestrebt.
Im nördlichen Teil dominieren Steppenlandschaften den Nationalpark Patagonia. Die typischen goldenen Gräser glänzen in der Sonne und kontrastieren herrlich mit dem Blau des Himmels oder der nahegelegenen Wasserkörper. Unzählige Guanakos leben hier. Des Weiteren gibt es im Park Füchse, Hasenmäuse und sogar Pumas. Selbstverständlich hat es auch eine Vielzahl an Vögeln, die beobachtet werden können. Wir sehen Arten wie den mächtigen Andenkondor, Feueraugen-Scheckentyrann, Kordilleren-, Blei- und Strauchammertangare sowie Schwarzschwanz-Hakentyrann. Auch fliegen immer wieder Grauweihen und Nordamerikanische Buntfalken in unser Blickfeld.
Der südliche Teil des Parks ist niederschlagsreicher und weist daher eine andere Vegetation auf. Es herrschen vor allem die sommergrünen Südbuchenwälder (Antarktische Scheinbuche und Lenga-Südbuche) vor. Die grosse Palette an Farbtönen, die sich uns hier jetzt im Herbst bieten, ist schlicht grandios. Sie reicht von Gelb über Orange bis hin zu intensivem Rot. Diese hiesigen, ausgedehnten Wälder sind ein idealer Lebensraum für den Südandenhirsch (Chilenischer Huemul). Gemäss der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur IUCN gilt er als Stark Gefährdet.
Faszinierende Naturgeschichte
Nebst all den Farben, Tieren und Pflanzen beeindrucken mich aber auch die Landschaften an sich. Als Geografin finde ich es absolut spannend und faszinierend, wie diese Gegend von den verschiedenen Kräften der Natur modelliert worden ist. Zum Einen stechen da die Gletschererosionen ins Auge. Sanfte Hügellandschaften und rundgeschliffene Felsen dominieren weite Teile Nordpatagoniens. Gletscherseen und breite Täler zeugen weiter von der Gletscheraktivität der letzten Eiszeit. Zudem ist die Pazifikküste von unzähligen Fjorden durchsetzt, welche ebenfalls ein Überbleibsel der Gletschertätigkeiten sind. Dem aufmerksamen Beobachter fällt ausserdem auf, wie viele Moränen das Landschaftsbild prägen. In grösseren Höhenlagen, wo während der letzten Kältephase der Eismantel aufgrund der Topografie dünner war und/oder weniger lang liegenblieb, ragen schroffe Berge in den Himmel. Sie wurden primär von Wind, Wasser und Schwerkraft modelliert, was ihnen ein raueres Aussehen verliehen hat.
Bei aller Gletschererosion sind aber auch deutliche Spuren von Erosion durch Wasser in seiner flüssigen Form auszumachen. So haben Bäche und Flüsse teils eindrücklich tiefe, enge Furchen in die Landschaft gefressen. San Rafael Patagonien Marmorkathedralen Herbst
Reiz der Einfachheit
Die Region Aysén ist wie erwähnt erst seit relativ kurzer Zeit über eine Strasse an den Rest des Landes angebunden. Auch die Fortbewegung innerhalb der Region war bis vor wenigen Jahrzehnten alles andere als einfach. Entsprechend ist auch der breite Tourismus eine eher neue Erscheinung. Viele Anbieter sind klein, eng mit der Gegend verwurzelt und nicht selten als Familienbetrieb organisiert. Der offene und interessierte Gast kann er also sehr viel über die Region, ihre Kultur und natürliche Umgebung erfahren, während er durch Aysén reist. Es ist aber auch unschwer nachzuvollziehen, dass nach einer intensiven Sommersaison zahlreiche Anbieter im Herbst und Winter einen deutlich langsameren Rhythmus einschlagen. Nicht wenige schliessen ihren Betrieb für einige Monate sogar ganz. Sie profitieren von der touristisch sehr ruhigen Phase, um sich zu erholen und neue Energien für die nächste Saison zu tanken.
Aysén mit ihrer Lebensader “Carretera Austral” ist eine atemberaubende Destination. Bereisen Sie die dünn besiedelten und von der Natur geprägten Täler, Hochebenen und Hügellandschaften. Geniessen Sie es, einen Gang herunterzuschalten und die Schönheiten, die uns Mutter Erde geschenkt hat, in aller Ruhe aufzusaugen. Die intensiven Farben, spektakulären Landschaften und menschenleeren Gegenden werden Sie ins Staunen versetzen. Vom Fotografen über den Vogelbeobachter, Pflanzenenthusiast hin zum aktiven Gast, der gerne wandert oder Velo fährt – in Aysén findet jeder Naturliebhaber sein Glück.
Gerne melde ich mich, um Ihnen und der Geschäftsführung von Far South zu berichten, dass wir eine unglaublich erfolgreiche Reise nach Lauca hatten. Euer Reiseleiter David ist hervorragend. Er war sachkundig, flexibel, zugänglich, begeistert von seinen Aufgaben und arbeitete hart. Sein tiefes und hart erarbeitetes Wissen über die Gegend war von unschätzbarem Wert. Ich hoffe, dass bei künftigen Reisen zur Suche der Andenkatze David die erste Wahl ist bezüglich Reiseleitung.
Es ist der Traum jedes Katzenspezialisten, eine der fünf seltensten Katzenarten dieser Welt zu sehen. Danke vielmals, dass Sie diesen Traum haben wahr werden lassen.
Beste Wünsche
Stuart
Leave a Reply
Your email is safe with us.